Und ja, selbst verständlich darf ich mit heutigen Maßstäben und heutigem Wissen analysieren, was damals passiert ist.
Es ist auch ein Unterschied, ob es sich um ein Geschwisterchen handelt, dass man kennt oder um eines, das man nie gesehen hat.
Man sollte sich nämlich klar darüber sein, wer hier eigentlich trauert. Doch wohl die Mutter/Eltern, denn das Kind, in unserem Fall Elvis, kannte den Bruder ja gar nicht, hatte infolgedessen keine Beziehung zu ihm. Die wurde ihm eingeredet. Und das ist definitiv nicht nötig.
Gemeinsames Aufarbeiten eines gemeinsamen Verlustes ist gut, aber jemanden mit einem Gefühl belasten, das dieser gar nicht haben kann, bzw versuchen ein Kind zu einem stützenden Partner zu machen [und ich denke, das hat Gladys, wenn auch aus verständlichen Gründen und unbewusst, getan] ist leider pathologisch.
Dennoch, ich wiederhole mich: dies ist kein Vorwurf, sondern lediglich eine Feststellung.
Und was soll damit sein?
Wie schon erwähnt, sollte man unterscheiden, wer hier eigentlich trauert. Und nicht ein Kind mit der Aufgabe des tröstenden, verstehenden Partners, belasten.
Wie ich schon mal ausführte: man sollte sich klar darüber sein, wer eigentlich trauert.
Als Nächstes sollten wir uns überlegen, was ist eigentlich kindgerecht verpackt? Meiner Erfahrung nach oft ein Irrtum, weil man meint, ein Kind würde etwas noch nicht verstehen.
Das stimmt insofern, dass ein Kind diese Erfahrung noch nicht hat. Aber gerade, weil es die noch nicht, hat, hat es auch noch nicht die dazu gehörigen Gefühle.
In dem Moment, wo ich jetzt Erfahrungen vermitteln möchte, die das Kind noch nicht kennt, werde ich ganz automatisch, auch meine Gefühle dazu vermitteln. Alleine schon dadurch, wie ich vermittle.
Lache ich? OK, dann vermittle ich Freude.
Schaue ich böse? OK, dann vermittle ich Wut.
Weine ich? Dann vermittle ich Trauer.
Bleibe ich ruhig und neutral, dann vermittle ich Ruhe und Selbstverständlichkeit.
Und somit projeziere ich immer auch meine eigenen Gefühle in einer bestimmten Angelegenheit auf das Kind.
Auf genau diese Art und Weise entstehen ja bestimmte Kulturen. Es wird ja auch nicht in jeder Kultur gleich getrauert, oder die gleichen Geschehnisse lösendie gleichen Gefühle aus. Selbst die Differenzierungund Dosierung diverser Gefühle sind im Allgemeinen kulturbedingt und im Besonderen erziehungsbeeinflusst.
Es ist daher nicht das Kind, das den Tod schrecklich empfindet, sondern es sind die Erwachsenen, die ihn schon kennen und ihn schrecklich empfinden und das auch vermitteln.
Es war nicht Elvis, der ganz von alleine um seinen Bruder getrauert hätte. Wie gesagt, er wusste es nicht und er kannte ihn auch nicht. Es wurde ihm alles von Gladys (und sicher auch von Vernon) vorgetrauert. Sie informierten ihn über den Bruder, sie erzählten in einem ganz bestimmten Tonfall vom Tod und sie vermittelten ihm das Gefühl, wie tragisch das alles sei, und sie waren es, die ihm einredeten, man müsse zu einer Fantasiefigur, die sie Gott nennen, beten, um mit dieser Trauer, die Elvis anfangs gar nicht hatte, fertig zu werden.
Sorry, diese Vorgangsweise (und das gilt nicht nur für Gladys, sondern für jeden, der diesen emotionsüberladenen Weg geht) liefert eher Pseudolösungen für nicht vorhanden Probleme, und schafft somit erst einmal ein Problem, allerdings ein anderes, als es zu lösen vorgibt.
Und nochmal: das ist eine Feststellung, kein Vorwurf.
Nicht das tote Kind an sich ist macht Probleme, sondern die dadurch ausgelösten unbewältigten Gefühle bei der Mutter/den Eltern. Das ist verständlich, aber es ist ebenso verständlich, dass es eben die Eltern sind, die dieses Gefühl weiter geben. Und dann aber meinen, das Kind müsse lernen, mit diesen Gefühlen, die gar nicht seine eigenen sind, umgehen zu können. Die Lösung, die sie bieten, ist ihre, aber ist sie deswegen kindgerecht?
Denn das, was solche Situationen im Kind wirklich auslösen, kriegen nämlich Eltern die mit ihrer eigenen Trauer noch nicht abgeschlossen haben, meistens gar nicht mit.
Denn all das Beten löste in Elvis schreckliche Gefühle der ganz anderen Art aus – Schuldgefühle. Und mit denen blieb er alleine.
Nein, Gladys brauchte den Trost, und sie holte ihn sich durch ihren überlebenden Sohn. Und das ist für eine kindliche Psyche dramatischer als zu erfahren, dass es noch einen Bruder gab, der halt verstorben ist.
Es ist etwas anderes, wenn sie das Lebewesen im Schuhkarton gekannt haben.
Aber in unserem Fall wurde Elvis das Drama erst im Nachhinein vermittelt. Auch das Symbol Engel, denn auch den hat noch nie jemand jemals wirklich gesichtet (wie auch).
Es bedarf keiner Engelsgeschichten, um jemanden zu vermitteln, dass es den Tod gibt.
Abgesehen davon, hätte auch einem 3 jährigen noch keiner sagen müssen, dass sein Zwillingsbruder neben ihm gestorben ist. Und wenn, gibt es durchaus weniger dramatische Möglichkeiten.
Das angebliche Problem (für den Überlebenden) mit der Verarbeitung des toten Zwillings existiert/e nicht per se, sondern wird/wurde erst durch die Eltern dazu gemacht. Plus der ganzen Show mit täglichem Beten.
Das nenne ich Indoktrinieren und krank machend.
Wie sagt man doch: der Ton macht die Musik. Und wenn der traurig klingt, dann wird die Musik zu einem Trauermarsch.
Es gibt und gab auch damals schon andere Wege, die andere Eltern auch eingeschlagen haben. Jedem das Seine. Nur ist eben nicht jeder Weg gleich gut.
Oder was meinst Du wohl, warum es so etwas wie Psychoanalyse überhaupt erst mal gibt? Und warum sie Leuten hilft, Probleme der Kindheit aufzuarbeiten? Und diese Probleme sind bei Weitem nicht immer nur „böse“ Eltern. Es sind jede Menge gut meinender darunter. Aber gut meinen ist nicht dasselbe wie gut tun.
Und es ist garantiert belastend und traumatisch, für unbekannte tote Brüder zu beten. Jeden Tag, und das in jüngsten Jahren, davon zu hören. Schuldgefühle für etwas zu entwickeln, für das man gar nichts dafür kann.
Auch wenn dies sicherlich nicht Gladys Absicht war, so ist es trotzdem geschehen.
Hätte Elvis im Nachhinein etwas ändern können? Ja, es gab bereits Psychoanalysen zu seiner Zeit. Ob er das wusste oder bewusst ablehnte oder meinte, es ginge ihm eh gut, vermag ich nicht zu sagen.
Daher noch einmal, vielleicht muss ich es ja brüllen: Ich drehe Gladys keinen Strick daraus, ich stelle nur fest, dass es primär ihr Verhalten (na ja, logisch, Vater saß ja ein) war, dass Elvis Schuldgefühle einimpfte.
Schließlich geht es ja in diesem Thread wohl genau um diese Frage, oder etwa nicht?
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