Was für ein gesellschaftspolitischer Rundumschlag. Hier wird alles, aber auch alles bedient.
75. Geburtstag
Elvis Presley wird auch den Islamismus zersetzen
(35)
Von Alan Posener 8. Januar 2010, 09:00 Uhr
Er transformierte den Kapitalismus und brachte den Kommunismus zu Fall. Doch damit ist das Lebenswerk des bekanntesten Interpreten des Rock 'n' Roll, Elvis Aaron Presley (1935-1977), noch lange nicht vollendet. Jetzt ist der Islamismus fällig. Ein Lob auf den großen Revolutionär.
Elvis Presley
Elvis Presley
Adonis aus Amerika. Elvis ist die Matrix, das Vorbild für alle einsamen Jungen, die je ein Star werden wollten.
Elvis Presley war zweifellos der bedeutendste Musiker des 20. Jahrhunderts. Nicht allein wegen seines Œuvres, obwohl ihm auch seine musikalische Leistung einen Platz unter den Unsterblichen sichern wird; Elvis lebt vor allem wegen seiner Wirkung. Wie Immanuel Kant ist Elvis ein „Alleszertrümmerer“.
Die von ihm ausgelöste Kulturrevolution hat den Kapitalismus transformiert, den Kommunismus zu Fall gebracht – und ist dabei, den Islamismus zu zersetzen. Noch immer wird er zuweilen an den Kassen amerikanischer Supermärkte gesichtet. Aber man sucht ihn vergebens unter den Toten des Konsumismus. Wo immer die Jugend ihr Lebensrecht gegen die Gerontokratie einfordert, dort ist auch er.
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Über Amerika kam Elvis 1954 mit der Wucht einer religiösen Erweckungsbewegung.
Das war aber nicht Opium fürs Volk, das war Speed für die Jugend. Man zitiert gern seinen Entdecker Sam Phillips mit dem Satz: „Wenn ich einen Weißen finden könnte, der wie ein Schwarzer singt, würde ich eine Million Dollar machen.“
Dieser Weiße soll Elvis gewesen sein. Aber Elvis klang nicht wie ein Schwarzer und sah nicht aus wie ein Weißer. Seine blonden Haare färbte er schwarz, seine Anzüge kaufte er dort, wo sich die schwarzen Luden eindeckten; er bewegte sich wie ein schwuler Teufel und sang wie ein elektrisch verstärkter Engel.
Er war eben, um den Titel des gleichnamigen grandiosen Elvis-Films zu zitieren, „King Creole“ – der König des Eklektischen, Vermischten, Unbestimmten. Alle, die danach kamen, von Mick Jagger bis Michael Jackson, haben ihn zitiert. Elvis bietet die Matrix für das große Versprechen des Pop: die Befreiung des Menschen von der Tradition. Wie sang Chuck Berry: „Hail, hail, Rock and Roll/ Deliver me from the days of old!“ Führe uns in Versuchung und erlöse uns vom Alten – das ist die Botschaft, die zuerst Elvis predigte.
Und die Alten verstanden sie sofort. Müsste sie ihnen doch bekannt vorkommen; war sie doch jene alte Botschaft aus dem Jahre 1776, die „Life, liberty and the pursuit of happiness“ als gottgegebene Rechte verkündete – Rechte, die aber den Schwarzen, den Frauen und der Jugend in den dunklen 1950er-Jahren vorenthalten wurden.
Nicht zufällig hieß der Titelsong einer der besten Elvis-Filme „Jailhouse Rock“. Natürlich war Amerika, gemessen am Völkergefängnis Sowjetunion, ein Paradies der Freiheit. Gemessen aber an seinen eigenen Idealen, war Amerika für die Jugend nicht weniger ein Gefängnis als Dänemark für den Prinzen Hamlet – auch er ein missverstandener junger Mann: ein Jammer, dass Elvis ihn nicht gespielt hat.
Es war ja die Gegnerschaft zum Sowjetimperium, der Kalte Krieg, der als Vorwand dafür diente, „the pursuit of happiness“ hintanzustellen. Der Koreakrieg war gerade erst beendet worden; Vietnam kündigte sich mit der französischen Niederlage bei Dien Bien Phu bereits an; und über allem schwebte als Menetekel der Atompilz, die garantierte gegenseitige Vernichtung.
Auf den Schock der sowjetischen Atom- und Wasserstoffbomben folgte der „Sputnik-Schock“, und der Jugend des Westens erzählten die Politiker, Pfarrer und Erzieher, sie müsste härter, moralischer, intelligenter und fleißiger sein als die Jugend des Ostens.
Elvis deutete das alles um. Wenn man morgen aufgrund eines Missverständnisses eingeäschert werden könnte, sollte man lieber heute leben: „It’s Now Or Never“, so übersetzte Elvis das schmalzige „O sole mio“. Wenn der Osten das Leistungsprinzip betonte, sollte man vielleicht das Lustprinzip und den Hedonismus betonen: „You can do what you want, but don’t step on my blue suede shoes.“
In einer Welt der kalten Sachlichkeit, der Mecki-Haarschnitte und der grauen Anzüge erschien ein Adonis mit langen Locken und pinkfarbenen Socken und fragte nach dem Verbleib der Schönheit. Und das Häuschen in der Vorstadt, für das sich die Eltern alles vom Munde abgespart hatten, deutete er im Namen ihrer Kinder als „Heartbreak Hotel“.
Wenn Bob Dylan einige Jahre später den Eltern erklärte, ihre Söhne und Töchter seien „ihrer Kontrolle entglitten“, so war das Elvis zu verdanken. „Ich betete ihn an“, erklärte John Lennon von den Beatles. „Der Rock ’n’ Roll war die grundlegende Revolution für Leute meines Alters und meiner Schicht.“
Es war derselbe John Lennon, der beim Tod des aufgeschwemmten, drogengesättigten Popstars in seiner Villa Graceland – „Gnadenland!“ wie passend! – zynisch sagte, Elvis sei schon 1958 gestorben, als er zur Armee ging. Tatsächlich schien die Unterwerfung des Adonis unter die Gesetze des eifersüchtigen Mars – symbolisch vollzogen von einem grinsenden Friseur der US-Army – das Ende der Revolution zu bedeuten. Zum ersten, aber nicht zum letzten Mal wurde der Pop für tot erklärt.
Aber als der Soldat Presley am 1. Oktober 1958 in Bremerhaven deutschen Boden betrat (heute wird die historische Stätte durch eine Plakette im Boden markiert), zeigte sich, dass er in der Uniform des G.I. lediglich die Revolution exportierte.
In einem Land, in dem es als ausgemacht galt, dass „nicht alles schlecht war“, was die Nazis gemacht hätten, schon gar nicht in der Jugenderziehung, war der Anblick einer Horde enthemmter Mädchen, die nach diesem Vertreter der „Neger-Musik“ schrien, so wie ihre Mütter nach dem Führer geschrien hatten, zutiefst schockierend. Davon sollte sich die Republik nie wieder erholen.
Zu ihrem Glück. Denn das Geniale am Kapitalismus ist seine Fähigkeit, noch jede Revolte zu absorbieren und in einen Stil zu verwandeln – in etwas, das man konsumieren und mit dem man Geld machen kann. Che Guevara und Mickymaus – beide eignen sich gleich gut, um T-Shirts zu verkaufen.
Elvis kam gerade recht, um dem Kapitalismus den Markt der Babyboomer aufzuschließen. „Wir vermarkten ihn wie Seifenpulver“, sagte sein Manager, „Colonel“ Tom Parker; aber Elvis war kein Weißwascher. „Wo er sich zu Tisch setzt,/ Setzt sich die Unzufriedenheit zu Tisch“ schrieb Bertolt Brecht in „Lob des Revolutionärs“. Und Elvis war gerade in diesem Sinn ein Revolutionär reinen Wassers, ein Botschafter der Unabhängigkeitserklärung und des nie zu befriedigenden Strebens nach Glück.
Gerade deshalb war seine Wirkung im Ostblock – anders als im Westen – verheerend. Der Rock ’n’ Roll war sexy, wo Marx ’n’ Engels nur langweilig waren. Und während noch manche Reaktionäre im Westen in Elvis eine Verschwörung wider das Abendland und seine Werte witterten, erkannten die Reaktionäre im Osten sofort: Das war „amerikanische Unkultur“ und ein „Störfeuer des Klassenfeinds“.
In Ost- wie in Westdeutschland wurden die Anhänger dieser Unkultur als „Halbstarke“ beschimpft, aber im Osten blieb es nicht beim Beschimpfen: Die „Rowdys“ wurden verfolgt und kriminalisiert. Noch im Dezember 1965, während sich die Bundesrepublik dem Beatles-Fieber hingab, sagte SED-Chef Walter Ulbricht: „Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des ,Yeah Yeah Yeah‘ und wie das alles heißt sollte man doch Schluss machen.“
Nun, am Ende machte das „Yeah Yeah Yeah“ und wie das alles hieß mit der DDR Schluss, und das war gut so. Das Lustprinzip lässt sich verdrängen, aber die Kosten sind immens. Eine neurotische Gesellschaft ist auf Dauer der Konkurrenz mit einer befreiten Gesellschaft nicht gewachsen: „Everybody in the whole cell block/ Is dancing to the Jailhouse Rock.“
Auch darum kann der Westen in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem Islamismus mit einer ruhigen Siegesgewissheit agieren. Denn in gewisser Weise ist dieser Islamismus nichts anderes als eine verzweifelte Abwehr gegen die Anziehungskraft dessen, was Amerika und Elvis verkörpern.
Das wird nirgendwo deutlicher als in den Schriften Sayyid Qutbs, der mit der Muslimbruderschaft die erste Organisation des politischen Islam gründete. Qutb hatte bei einem Studienaufenthalt in Greeley, Colorado, die amerikanische Populärkultur kennengelernt und beschrieb sie so: „Sie tanzten zu den Melodien eines Grammofons, und der Boden war voller wippender Füße, anziehender Beine, Arme, die sich um Taillen wickelten, Lippen, die sich gegen Lippen, und Brüste, die sich gegen Brüste pressten. Die Luft war voller Lust?“ Qutb hatte diese schockierende Beobachtung 1949 bei einem vermutlich ausgesprochen gesitteten Tanzabend im Keller der örtlichen Kirche gemacht. Wie hätte er wohl auf die dionysische Enthemmung eines Elvis Presley reagiert?
Gegen den Rock ’n’ Roll konnte man Mauern und Störsender bauen – sie halfen nichts. Heute besitzt die Popkultur, deren Prophet Elvis war, mit dem Internet ein Instrument, das ganz andere Versuchungen frei Haus liefert. Nirgendwo in der Welt sind die Frauen stärker unterdrückt, nirgendwo die jungen Männer stärker frustriert als in der arabisch-muslimischen Welt. Und nirgendwo wird aus dem Internet mehr Pornografie heruntergeladen.
Gewiss doch, aus der sexuellen Frustration und moralischen Verwirrung dieser Babyboomer kann auch tödliche Gewalt entstehen, und sie entsteht auch. Das Phänomen der asketisch-moralischen Rebellion gegen die Welt des Konsums und der Enthemmung kennen wir auch in Deutschland, einschließlich ihrer tödlichen Variante, der RAF, die nicht zufällig eine ihrer Wurzeln im deutschen Pfarrhaus hat.
Aber am Ende kann die Doppelmoral dem elementaren Drang der Jugend nach Freiheit nicht standhalten. Und die elementarste aller Freiheiten ist die Freiheit, den eigenen Körper spüren, die eigene Lust leben zu dürfen. Keine Musik drückt diesen Drang klarer aus als der Rock ’n’ Roll – wie auch immer er sich nennt.
Beat, Punk, Reggae, Hardrock, Hip-Hop, Rap und so weiter und so fort. Und keiner verkörpert die Seele dieser Musik so wie der Mann aus Tupelo, Mississippi, der, wie es Eldridge Cleaver ausdrückte, „der weißen Jugend ihre Körper zurückgab“: Elvis Presley. Er ist und bleibt The King.
75. Geburtstag
Elvis Presley wird auch den Islamismus zersetzen
(35)
Von Alan Posener 8. Januar 2010, 09:00 Uhr
Er transformierte den Kapitalismus und brachte den Kommunismus zu Fall. Doch damit ist das Lebenswerk des bekanntesten Interpreten des Rock 'n' Roll, Elvis Aaron Presley (1935-1977), noch lange nicht vollendet. Jetzt ist der Islamismus fällig. Ein Lob auf den großen Revolutionär.
Elvis Presley
Elvis Presley
Adonis aus Amerika. Elvis ist die Matrix, das Vorbild für alle einsamen Jungen, die je ein Star werden wollten.
Elvis Presley war zweifellos der bedeutendste Musiker des 20. Jahrhunderts. Nicht allein wegen seines Œuvres, obwohl ihm auch seine musikalische Leistung einen Platz unter den Unsterblichen sichern wird; Elvis lebt vor allem wegen seiner Wirkung. Wie Immanuel Kant ist Elvis ein „Alleszertrümmerer“.
Die von ihm ausgelöste Kulturrevolution hat den Kapitalismus transformiert, den Kommunismus zu Fall gebracht – und ist dabei, den Islamismus zu zersetzen. Noch immer wird er zuweilen an den Kassen amerikanischer Supermärkte gesichtet. Aber man sucht ihn vergebens unter den Toten des Konsumismus. Wo immer die Jugend ihr Lebensrecht gegen die Gerontokratie einfordert, dort ist auch er.
mehr Bilder
Über Amerika kam Elvis 1954 mit der Wucht einer religiösen Erweckungsbewegung.
Das war aber nicht Opium fürs Volk, das war Speed für die Jugend. Man zitiert gern seinen Entdecker Sam Phillips mit dem Satz: „Wenn ich einen Weißen finden könnte, der wie ein Schwarzer singt, würde ich eine Million Dollar machen.“
Dieser Weiße soll Elvis gewesen sein. Aber Elvis klang nicht wie ein Schwarzer und sah nicht aus wie ein Weißer. Seine blonden Haare färbte er schwarz, seine Anzüge kaufte er dort, wo sich die schwarzen Luden eindeckten; er bewegte sich wie ein schwuler Teufel und sang wie ein elektrisch verstärkter Engel.
Er war eben, um den Titel des gleichnamigen grandiosen Elvis-Films zu zitieren, „King Creole“ – der König des Eklektischen, Vermischten, Unbestimmten. Alle, die danach kamen, von Mick Jagger bis Michael Jackson, haben ihn zitiert. Elvis bietet die Matrix für das große Versprechen des Pop: die Befreiung des Menschen von der Tradition. Wie sang Chuck Berry: „Hail, hail, Rock and Roll/ Deliver me from the days of old!“ Führe uns in Versuchung und erlöse uns vom Alten – das ist die Botschaft, die zuerst Elvis predigte.
Und die Alten verstanden sie sofort. Müsste sie ihnen doch bekannt vorkommen; war sie doch jene alte Botschaft aus dem Jahre 1776, die „Life, liberty and the pursuit of happiness“ als gottgegebene Rechte verkündete – Rechte, die aber den Schwarzen, den Frauen und der Jugend in den dunklen 1950er-Jahren vorenthalten wurden.
Nicht zufällig hieß der Titelsong einer der besten Elvis-Filme „Jailhouse Rock“. Natürlich war Amerika, gemessen am Völkergefängnis Sowjetunion, ein Paradies der Freiheit. Gemessen aber an seinen eigenen Idealen, war Amerika für die Jugend nicht weniger ein Gefängnis als Dänemark für den Prinzen Hamlet – auch er ein missverstandener junger Mann: ein Jammer, dass Elvis ihn nicht gespielt hat.
Es war ja die Gegnerschaft zum Sowjetimperium, der Kalte Krieg, der als Vorwand dafür diente, „the pursuit of happiness“ hintanzustellen. Der Koreakrieg war gerade erst beendet worden; Vietnam kündigte sich mit der französischen Niederlage bei Dien Bien Phu bereits an; und über allem schwebte als Menetekel der Atompilz, die garantierte gegenseitige Vernichtung.
Auf den Schock der sowjetischen Atom- und Wasserstoffbomben folgte der „Sputnik-Schock“, und der Jugend des Westens erzählten die Politiker, Pfarrer und Erzieher, sie müsste härter, moralischer, intelligenter und fleißiger sein als die Jugend des Ostens.
Elvis deutete das alles um. Wenn man morgen aufgrund eines Missverständnisses eingeäschert werden könnte, sollte man lieber heute leben: „It’s Now Or Never“, so übersetzte Elvis das schmalzige „O sole mio“. Wenn der Osten das Leistungsprinzip betonte, sollte man vielleicht das Lustprinzip und den Hedonismus betonen: „You can do what you want, but don’t step on my blue suede shoes.“
In einer Welt der kalten Sachlichkeit, der Mecki-Haarschnitte und der grauen Anzüge erschien ein Adonis mit langen Locken und pinkfarbenen Socken und fragte nach dem Verbleib der Schönheit. Und das Häuschen in der Vorstadt, für das sich die Eltern alles vom Munde abgespart hatten, deutete er im Namen ihrer Kinder als „Heartbreak Hotel“.
Wenn Bob Dylan einige Jahre später den Eltern erklärte, ihre Söhne und Töchter seien „ihrer Kontrolle entglitten“, so war das Elvis zu verdanken. „Ich betete ihn an“, erklärte John Lennon von den Beatles. „Der Rock ’n’ Roll war die grundlegende Revolution für Leute meines Alters und meiner Schicht.“
Es war derselbe John Lennon, der beim Tod des aufgeschwemmten, drogengesättigten Popstars in seiner Villa Graceland – „Gnadenland!“ wie passend! – zynisch sagte, Elvis sei schon 1958 gestorben, als er zur Armee ging. Tatsächlich schien die Unterwerfung des Adonis unter die Gesetze des eifersüchtigen Mars – symbolisch vollzogen von einem grinsenden Friseur der US-Army – das Ende der Revolution zu bedeuten. Zum ersten, aber nicht zum letzten Mal wurde der Pop für tot erklärt.
Aber als der Soldat Presley am 1. Oktober 1958 in Bremerhaven deutschen Boden betrat (heute wird die historische Stätte durch eine Plakette im Boden markiert), zeigte sich, dass er in der Uniform des G.I. lediglich die Revolution exportierte.
In einem Land, in dem es als ausgemacht galt, dass „nicht alles schlecht war“, was die Nazis gemacht hätten, schon gar nicht in der Jugenderziehung, war der Anblick einer Horde enthemmter Mädchen, die nach diesem Vertreter der „Neger-Musik“ schrien, so wie ihre Mütter nach dem Führer geschrien hatten, zutiefst schockierend. Davon sollte sich die Republik nie wieder erholen.
Zu ihrem Glück. Denn das Geniale am Kapitalismus ist seine Fähigkeit, noch jede Revolte zu absorbieren und in einen Stil zu verwandeln – in etwas, das man konsumieren und mit dem man Geld machen kann. Che Guevara und Mickymaus – beide eignen sich gleich gut, um T-Shirts zu verkaufen.
Elvis kam gerade recht, um dem Kapitalismus den Markt der Babyboomer aufzuschließen. „Wir vermarkten ihn wie Seifenpulver“, sagte sein Manager, „Colonel“ Tom Parker; aber Elvis war kein Weißwascher. „Wo er sich zu Tisch setzt,/ Setzt sich die Unzufriedenheit zu Tisch“ schrieb Bertolt Brecht in „Lob des Revolutionärs“. Und Elvis war gerade in diesem Sinn ein Revolutionär reinen Wassers, ein Botschafter der Unabhängigkeitserklärung und des nie zu befriedigenden Strebens nach Glück.
Gerade deshalb war seine Wirkung im Ostblock – anders als im Westen – verheerend. Der Rock ’n’ Roll war sexy, wo Marx ’n’ Engels nur langweilig waren. Und während noch manche Reaktionäre im Westen in Elvis eine Verschwörung wider das Abendland und seine Werte witterten, erkannten die Reaktionäre im Osten sofort: Das war „amerikanische Unkultur“ und ein „Störfeuer des Klassenfeinds“.
In Ost- wie in Westdeutschland wurden die Anhänger dieser Unkultur als „Halbstarke“ beschimpft, aber im Osten blieb es nicht beim Beschimpfen: Die „Rowdys“ wurden verfolgt und kriminalisiert. Noch im Dezember 1965, während sich die Bundesrepublik dem Beatles-Fieber hingab, sagte SED-Chef Walter Ulbricht: „Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des ,Yeah Yeah Yeah‘ und wie das alles heißt sollte man doch Schluss machen.“
Nun, am Ende machte das „Yeah Yeah Yeah“ und wie das alles hieß mit der DDR Schluss, und das war gut so. Das Lustprinzip lässt sich verdrängen, aber die Kosten sind immens. Eine neurotische Gesellschaft ist auf Dauer der Konkurrenz mit einer befreiten Gesellschaft nicht gewachsen: „Everybody in the whole cell block/ Is dancing to the Jailhouse Rock.“
Auch darum kann der Westen in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem Islamismus mit einer ruhigen Siegesgewissheit agieren. Denn in gewisser Weise ist dieser Islamismus nichts anderes als eine verzweifelte Abwehr gegen die Anziehungskraft dessen, was Amerika und Elvis verkörpern.
Das wird nirgendwo deutlicher als in den Schriften Sayyid Qutbs, der mit der Muslimbruderschaft die erste Organisation des politischen Islam gründete. Qutb hatte bei einem Studienaufenthalt in Greeley, Colorado, die amerikanische Populärkultur kennengelernt und beschrieb sie so: „Sie tanzten zu den Melodien eines Grammofons, und der Boden war voller wippender Füße, anziehender Beine, Arme, die sich um Taillen wickelten, Lippen, die sich gegen Lippen, und Brüste, die sich gegen Brüste pressten. Die Luft war voller Lust?“ Qutb hatte diese schockierende Beobachtung 1949 bei einem vermutlich ausgesprochen gesitteten Tanzabend im Keller der örtlichen Kirche gemacht. Wie hätte er wohl auf die dionysische Enthemmung eines Elvis Presley reagiert?
Gegen den Rock ’n’ Roll konnte man Mauern und Störsender bauen – sie halfen nichts. Heute besitzt die Popkultur, deren Prophet Elvis war, mit dem Internet ein Instrument, das ganz andere Versuchungen frei Haus liefert. Nirgendwo in der Welt sind die Frauen stärker unterdrückt, nirgendwo die jungen Männer stärker frustriert als in der arabisch-muslimischen Welt. Und nirgendwo wird aus dem Internet mehr Pornografie heruntergeladen.
Gewiss doch, aus der sexuellen Frustration und moralischen Verwirrung dieser Babyboomer kann auch tödliche Gewalt entstehen, und sie entsteht auch. Das Phänomen der asketisch-moralischen Rebellion gegen die Welt des Konsums und der Enthemmung kennen wir auch in Deutschland, einschließlich ihrer tödlichen Variante, der RAF, die nicht zufällig eine ihrer Wurzeln im deutschen Pfarrhaus hat.
Aber am Ende kann die Doppelmoral dem elementaren Drang der Jugend nach Freiheit nicht standhalten. Und die elementarste aller Freiheiten ist die Freiheit, den eigenen Körper spüren, die eigene Lust leben zu dürfen. Keine Musik drückt diesen Drang klarer aus als der Rock ’n’ Roll – wie auch immer er sich nennt.
Beat, Punk, Reggae, Hardrock, Hip-Hop, Rap und so weiter und so fort. Und keiner verkörpert die Seele dieser Musik so wie der Mann aus Tupelo, Mississippi, der, wie es Eldridge Cleaver ausdrückte, „der weißen Jugend ihre Körper zurückgab“: Elvis Presley. Er ist und bleibt The King.
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