Zitat:
Zitat von burroughs
Aber ich versteh ehrlich gesagt auch nicht, was El an Sherril´s Stimme gefunden hat
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Elvis hatte - neben vielen anderen außerordentlichen Fähigkeiten bzgl. seines eigenen Gesangs - auch ein sehr gutes, wenn nicht
hervorragendes Gehör für Stimmen im Allgemeinen. Wenn man sich anschaut, wer seine musikalischen Vorbilder waren, wen von seinen "Kollegen" und Zeitgenossen er bewunderte und welche Sängerinnen und Sänger er sich für sowohl seine Aufnahmen als auch seine Live-Show aussuchte, dann wird das m. E. sehr schnell überdeutlich.
Ich denke, Elvis wusste, dass er mit Sherrill Nielsen einen gesanglich hervorragenden Sänger in seine Show holte und integrierte. Die Tatsache, dass Sherrill nicht immer ganz gewöhnlich klang (s. unten), ändert nichts daran, dass er ein sehr guter Sänger war. Und das war letztendlich Elvis' Ziel bzgl. der Auswahl nicht nur seiner Musiker ("I wanted musicians that can play any type of music (...) - which those guys can" - Quelle s. unten), sondern auch der Sängerinnen und Sänger im Background seiner Show: Menschen um sich zu versammeln, die dem Anspruch seiner Show, Musik verschiedenster Herkunft und Art in einer einzigen Show zusammenzufassen und zu präsentieren.
Elvis' Prinzip war die Vielfalt und die Überwindung von Genregrenzen und in irgendeiner Weise geartenen Vorgaben:
"I wanted voices behind me to have to add to the fullness of the sound, and to get the dynamics of the show ..." Elvis, in einem Interview für
Elvis On Tour , 1972
Sherrill Nielsen entsprach all diesen Anforderungen mit Bravour. Wer ein bisschen recherchiert, wird schnell feststellen, dass Sherrill nicht nur Mitglied so legendärer und populärer Gruppen wie den
Blackwood Brothers, den
Statesmen und den
Imperials war, sondern auch Mitglied der
Gospel Hall Of Fame ist. Klingt nicht gerade wie der Eintrag aus dem Lebenslauf eines schlechten Sängers.
Ich muss zugeben, dass ich die hier erwähnte Version von
Spanish Eyes nicht kenne bzw. nicht im Ohr habe. Es kann sein, dass ich diese Bootleg-CD besitze, präsent ist mir der Vortrag allerdings momentan nicht. Ich habe mir, um meinen Eindruck von Sherrills Gesang aufzufrischen
Aubrey, Killing Me Softly (beide September 1974),
Softly As I Leave You (Dezember 1975) und
It's Now Or Never (Juni 1977) angehört.
Nach vielfachem und genauem Hören kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sherrills Tongebung und sein Vibrato (beide hervorragend gestützt), die Gesangbögen und die Art und Weise, in der er einen Ton hält, schlicht makellos sind. Nicht mehr und nicht weniger. Er ist ein klassischer (leichter) Tenor mit geradezu lyrischen Eigenschaften.
Was Sherrills Gesang (neben einer generell ungewöhnlich klingenden Gesangsstimme) nun m. E. insbesondere ausmacht, ist die Tatsache, dass er sich nicht
verhält wie ein (klassischer) Tenor. Anders als Elvis, der ab einem gewissen Zeitpunkt seiner Karriere Voll- und Randstimme mischte (er "deckte", so der Fachbegriff, die Teile oberhalb seines Registerwechsels, was ihm teilweise das Attribut "opernhaft" einbrachte), springt Sherrill zwischen beiden Registern hin- und her. Auch von Elvis kennen wir das: Anfang der 60er Jahre machte genau das seine ganz besonderen
Nashville-Stimme® aus, ein zwischen Zartheit, Schmelz und Schmalz sich bewegendes etwas, sehr weich, sehr "nah", sehr kindlich, sehr "unschuldig" (wer ein Beispiel dafür haben möchte, möge sich
It's A Sin anhören, wer auf der Suche nach einem Beispiel für Elvis' sich verändernde Gesangtechnik ist, möge die zwei Versionen von
Love Letters, 1966 und 1970, vergleichen).
Sherrill macht seine Sache mit großem Können und absoluter Versiertheit. Seine Registerwechsel sind so gut, so nahtlos, dass ich selbst nach vielfachem Hören noch zweifle, ob da tatsächlich Wechsel drin sind, oder nicht, oder ob er schlicht eine derart außergewöhnliche Stimme hat. Was er, ebenfalls sehr gekonnt, außerdem macht, ist an der einen oder anderen Stimme Falsett einzustreuen.
Wer sich, was Elvis' Einflüsse und musikalischen Wurzeln betrifft, ein wenig auskennt, weiß, dass er eine Vorliebe für Vocal Groups hatte und auch gerade seinen ganz frühen Aufnahmen stark davon beeinflusst waren. Diese Vocal Groups bestanden aus einem Bass, einem Bariton, einem Tenor und manchmal einem zweiten Tenor, der in die Gesamtheit der Stimmen noch Falsett einstreute, was technisch gesehen kein Gesang ist (daher der Name), aber gewissermaßen als Verzierung des Gesamteindrucks dient und dem Ganzen eine ganz spezielle Nuance verleiht. Der Eindruck von Losgelöstheit und Leichtigkeit, vielleicht auch von Kindlichkeit und Unbekümmertheit ist das Ergebnis.
Sherrill Nielsen singt in dieser Tradition und erweitert die Vielzahl der Stimmen, die mit Elvis auf der Bühne waren in genau dieser Hinsicht. Bewusst oder unbewusst hat Elvis eine Stimme ausgewählt (und stolz auf der Bühne präsentiert), die ihn an die Helden seiner Kindheit und Jugend erinnert, in erster Linie möglicherweise an Clyde McPhatter.
“If I could sing like that man, I'd never want for another thing ...” - Elvis über Clyde McPhatter
Man kann es mögen oder nicht, aber die Art und Weise, die Ausdrucksweise und die Begriffe mit denen jemandem wie Sherrill Nielsen hier begegnet wird, halte ich für unangemessen bis unverschämt.
Wir dürften fast alle sind in einer Zeit großgeworden sein, in der Stimmen langsam aber sicher erst zur Nebensächlichkeit wurden und dann geradezu in die Bedeutungslosigkeit entschwanden. Das Bild von "Stimme", das heute vielfach vorherrscht, ist geprägt von eher mittelmäßigen und wenig eigenartigen Stimmen wie denen eines John Lennon, Paul McCartney u. a.. Diese waren keine Sänger mehr in
dem Sinne, sondern singende Songwriter, für die das Hauptaugenmerk nicht mehr auf der Schönheit einer Stimme, der Versiertheit im Gesang, der Unmittelbarkeit der Wirkung der menschlichen Stimme, wenn sie richtig und gekonnt eingesetzt und als eigenständiges Instrument betrachtet und genutzt wird, lag, sondern woanders: Schwarz auf weiß, auf einem öden Stück Papier.
Mit der
Beatlesierung der Welt Mitte der 60er Jahre wurde u. a. der klassischen Gesangsstimme ihr ureigenes Wesen genommen und der Kommunikation auf rein textlicher Basis vielfach der Vorzug gegeben. Im Zuge dieser Entpoetisierung der Welt, wurde auch die Musik, hauptsächlich unter europäischem Einfluss, verkopft und entemotionalisiert. Textliche "Message" ersetze die Kunst des Singens und der Unmittelbarkeit der Emotionen. Das Ergebnis ist 40 Jahre später eine Welt, in der es keine Stimmen mehr gibt, in der das Singen erst wieder mühsam erlernt werden muss, weil das Gefühl (dafür) verloren gegangen ist.
(Anmerkung: Damit kein falscher Eindruck entsteht: Natürlich gab es damals wie heute auch eine andere, mehr herz- denn kopfbetonte Art der Musik; nicht umsonst feierte die Soul-Musik ihre größten Triumphe mit teilweise den großartigsten Stimmen des 20. Jahrhunderts gerade zu dieser Zeit, bestimmte weiterhin ein amerikanisches Bollwerk aus Motown und STAX die amerikanischen Charts und bildete den Soundtrack der Zeit. Aber bestimmend, auch für das Bild, das die Nachwelt von dieser Zeit hat, ist - leider - eine andere Strömung, die noch heute ihren Niederschlag in der Popmusik unserer Zeit findet.)
Sherrill Nielsen steht in der Tradition dieser alten "Gesangsschule". Eine Naturstimme, ein Talent und ein Sänger, der wie der Mann, mit dem er auf der Bühne stand, Emotion und Seele über alles stellte. Es war schon 1974 eine ungewöhnliche Herangehensweise, eine solche Stimme zu präsentieren. Heute wirkt sie umso ungewöhnlicher, fast befremdlich, weil diese Art Stimme und Gesang unbekannt und in gewisser Weise untergegangen sind. Dass mancheiner das nicht versteht, ändert aber nichts an ihrem Wesen oder ihrer Qualität.