Ich bin auf einen interessanten Artikel gestoßen. Nichts wirklich neues, aber anschaulich geschrieben (hätte auch in den "Elvis-Reisen-Bereich" gepasst).
......................................................................................
Tennessee
Auf Pilgerfahrt im „Music State“
Von Ralf Johnen, 21.08.09, 11:33h
Eine Reise durch Tennessee zu den Schreinen von Elvis Presley, Johnny Cash und Otis Redding. Und zum uramerikanischen Vergnügungspark von Country-Sängerin Dolly Parton. Auch noch lebende Musiklegenden hat der Staat im Süden der USA zu bieten.
Desillusionierte Dienstleistungsdrohnen schwirren in Dollywood umher. Die Line-Dance-Formationen sind abgekämpft, die Popcorn-Verkäufer müde. „The Show Must Go On“ und ähnliche amerikanische Plattitüden vorerst außer Kraft gesetzt. Bald werden die Pforten schließen an diesem sonnigen Tag in Pigeon Forge, Tennessee. Zuerst aber müssen die Besucher noch durch den Geschenkeladen geschleust werden, in dem sie von allen Artikeln ein und dasselbe Gesicht anstrahlt. Egal, ob Kaffeetasse oder Marmeladenglas – das Konterfei von Dolly Parton ist omnipräsent.
Dollywood ist einer dieser uramerikanischen Vergnügungsparks, die Spaß für die gesamte Familie verheißen. In diesem Fall sind die Folgen drastisch: Pigeon Forge, einst ein puritanisches Bergdorf an der Grenze zu North Carolina, hat sich zu einer Art Zweit-Las-Vegas entwickelt: mit einem endlosen Strip. Einem Hotel, in dem das gesamte Jahr Weihnachten ist. Und einem Haus, das auf dem Kopf steht. Nicht gerade der klassische Einstieg in den „Music State“, wie sich Tennessee stolz nennt. Aber doch mehr als eine skurrile Episode, schließlich wird Dolly Parton hier im konservativen Süden der USA abgöttisch verehrt. Und die Gipfel der Great Smoky Mountains als Kulisse können sich auch sehen lassen.
Entlang des „Music Highway“
Pigeon Forge liegt eine halbe Stunde südlich des Interstate 40, der liebevoll als „Music Highway“ bezeichnet wird, weil er mit Nashville und Memphis zwei Kapitalen der Musikgeschichte verbindet. Gut eine Stunde vor Memphis und dem mächtigen Mississippi liegt das unscheinbare Städtchen Jackson. Ein Nest, das hätte Eingang finden können in die Enzyklopädie der Missverständnisse der modernen Zivilisationsgeschichte. Denn es wäre in erster Linie dafür berühmt, dass hier die „Pringles“ erfunden wurden, hätte nicht Johnny Cash das 50 000-Einwohner-Städtchen als Schauplatz für einen Song über juvenilen Überschwang auserkoren, durch den Jackson jedem Musikliebhaber ein Begriff ist.
Hauptattraktionen sind heute drei noch im Originalzustand existierenden Greyhound-Stationen und der „Old Country Store“, ein zum Geschäft und Restaurant gewordenes Kondensat der Südstaaten, in dem Devotionalien des regional kultisch verehrten Opossums ebenso selbstverständlich sind wie frittierte Maiskuchen. Sichtlich wohl fühlt sich hier eine Erscheinung, die sich durch sehr fleischige Hände, eine verspiegelte Sonnenbrille und eine ungewohnt souveräne Ausstrahlung deutlich vom Rest der Besucher abhebt.
Der Mann heißt W. S. Holland, und er hat 40 Jahre lang das Schlagzeug in der Band von Johnny Cash gespielt. Cash selbst hat dem heute 74-Jährigen den kleidsamen Titel „Father of the Drums“ verliehen. Musikhistoriker können dem kaum widersprechen, hat Holland doch auf zahlreichen Frühwerken mitgewirkt, die auf dem Sun-Label veröffentlicht wurden. Unter anderem beim „Million Dollar Quartet“, das in imposanter Besetzung musizierte: Jerry Lee Lewis, Carl Perkins, Johnny Cash und Elvis Presley.
Heute genießt Holland sein Dasein als lokale Berühmtheit – doch Pensionär allein möchte er nicht sein. Immer wieder kommen Besucher wegen ihm, nicht selten sind es Journalisten, die die Musikgeschichte neu schreiben möchten. Holland begleitet sie gerne in die Rockabilly Hall of Fame, einem völlig unamerikanischen Off-Museum. Hier baumeln die Singles vom Sun-Label von der Decke, und hier sind zahlreiche andere Sammlerstücke vereint. Zusammengetragen hat sie Henry Harrison, der zufällig mit den späteren Superstars aufgewachsen ist. „Ich habe gegen Elvis geboxt und mit ihm Basketball gespielt.“ An den Wänden des Tanzsaals hängen sympathisch missmisslungene Porträts der Heroen von einst, darunter auch das Konterfei von Rayburn Anthony, einem weiteren Sun-Pionier.
Holland klagt ein wenig über das verzerrte Bild, das im Film „Walk the Line“ von ihm gezeichnet wird: ein rauchender und trinkender Drummer. „Beides“, sagt er, „habe ich in den 74 Jahren meines Lebens nicht einmal angerührt.“ Verbittert ist er wegen der Geschichtsver-fälschung nicht. Viel mehr freut er sich, als Rayburn Anthony ihn auffordert, sich ans Drumset zu setzen. Gemeinsam stimmen beide den „Folsom Prison Blues“ an. Und danach ertönt die Zeile „We got married in a fever“, die Jackson so berühmt gemacht hat.
An jeder Kreuzung ein Cop
In Memphis sehnt man sich vergeblich nach einer solch kleinen, heilen Welt. Die City ist seit Jahrzehnten verödet, manch alter Wolkenkrat-zer steht verrammelt in der Gegend herum. Sobald die Dämmerung einsetzt, wartet an jeder Kreuzung ein Cop. Die ¬Beale Street am Rande des Zentrums aber ist wieder intakt – auch, oder gerade, weil die Brutstätte des Blues ein wenig einem Musikthemenpark gleicht. In B. B. Kings Club spielt an diesem Abend eine namenlose Band U 2-Coverversionen: „Where The Streets Have No Name“. Auf der Liste legendärer „locations“ noch weiter oben ist das Sun-Studio notiert, das sich unbescheiden aber nicht ohne Berechtigung Geburtsstätte des Rock’n’Roll nennt. In dem unscheinbaren Backsteingebäude, das sich an der Union Avenue ein paar Blocks entfernt von Downtown befindet, haben von Elvis bis zu Roy Orbison und Johnny Cash alle ihre ersten Platten aufgenommen. Wenn Musik eine Religion wäre, heißt es, dann wäre Memphis Jerusalem – und das Sun Studio der wertvollste Schrein. Wer Glück hat, wird von Cora durch die erfreulich abgerockten Räume geführt: Die tätowierte Amazone steht für einen anekdotenreichen Rundgang mit Klangprobe.
Ein paar Blocks Richtung Süden röhrt eine 70er-Limousine über die Straße – auf drei Reifen und einer Felge. Wir befinden uns „in einem der ärmsten Viertel des Landes“, wie Tim Sampson erklärt. Sampson arbeitet im Stax Museum, einem weiteren Haus, das der Konservierung einer musikalischen Institution dient. Hier haben Otis Redding, Isaac Hayes und Booker T. and the MGs ihre Platten aufgenommen, bevor das Studio in den 70ern dem allgemeinen Niedergang der Stadt zum Opfer fiel, der mit dem Mord an Martin Luther King eingesetzt hatte. Ein anonymer Musikfreund hat vor einigen Jahren den Bau einer Erinnerungsstätte ermöglicht und damit die schrittweise Erholung des Viertels eingeleitet. Sampson und seine Kollegen unterhalten an diesem Ort auch die Stax Academy, in der Ghetto-Kids die Tugenden beigebracht werden, die für das Leben allgemein und für das eines Berufsmusikers vonnöten sind.
Ähnlich philanthropische Tendenzen sucht man in Graceland vergeblich. Das Anwesen des King ist gnadenlos durchkommerzialisiert, alle Produkte mit Echtheitssiegel ausgestattet. Am Grab nölt eine ältere Frau: „Das hier ist sehr emotional, oder?“ Nun, sagen wir: Es ist traurig.
Glas, Stahl und Honkytonks
Gegen das traurig Gestrige von Memphis wirkt Nashville wie eine moderne Metropole: eine Skyline aus Glas und Stahl, Suburbs mit geräumigen Villen – und eine intakte Innenstadt. Am Broadway reihen sich die Honkytonks aneinander, jene Live-Clubs, die dem Klischee getreu bis heute nur der Countrymusic vorbehalten sind. Aus einigen schallen tatsächlich seichte Sounds. Nicht so aber aus „Layla’s Bluegrass Inn“, wo Meta-Countrybands wie die „Drive-by-Truckers“ groß geworden sind.
Hier steht gegen Mitternacht ein von oben bis unten zutätowierter Berserker auf der Bühne, der seine Gitarre malträtiert und von einer fünfköpfigen Band unterstützt wird. Dieses Naturereignis nennt sich Hank III. und ist niemand anders als der Enkel von Hank Williams, dem früh verunglückten Übervater der melodramatischen Country-Ballade. Hank III. tritt fast jede Woche auf, um seine ebenso heißblütige wie sehenswerte Fan-Gemeinde mit mächtigem Lärm zu befriedigen. Im Ryman-Auditorium spielt am selben Abend Jack White von den White Stripes mit seiner Zweitband, den Raconteurs.
Auch in Nashville aber stößt der passionierte Musikhistoriker auf reichhaltige Jagdgründe. Von Ernest Tubbs Plattenladen am Broadway über die legendäre Konzerthalle „Grand Ole Opry“ bis zur „Country Music Hall of Fame“, einem High-End-Museum für die ganze Familie. Dennoch spielt die Vergangenheit kaum eine Rolle in Nashville – zu kraftvoll ist die Gegenwart.
Bliebe die Frage, was aus dem Erbe jenes Mannes geworden ist, auf den sich alle einigen können – vom jungen Hip-Hopper bis zum ält-lichen Rockabilly-Aficionado: Johnny Cash. Der „Man in Black“ residierte Zeit seines Lebens in Hendersonville, einem kleinen Städtchen nordöstlich von Nash-ville. Vor Ort allerdings deutet nur wenig auf den bekannten Bewohner hin, außer dass ein Teil der Main Street nach ihm benannt ist. In einer rührigen Bücherstube verrät eine junge Verkäuferin den Weg zum Friedhof und zu jener Villa, die seit den Auf-nahmen zu „Walk the Line“ so bekannt ist.
Johnny Cashs Grab
Nach ein paar Meilen taucht der Woodlawn Cemetry auf. Nichts weist darauf hin, dass hier June Carter-Cash und Johnny Cash nebeneinander ruhen. Nach einigem Suchen aber findet man den Grabstein und die Ruhestätte, auf der ein paar Plektrons liegen. Das Anwesen, auf dem der Mann residierte, allerdings ist Geschichte. Ein Bauzaun umgibt das Areal am Cumberland River. Brandstifter, so die Vermutung, haben es dem Erdboden gleichgemacht. Ein Verlust. Aber vielleicht zugleich die Garantie, dass Johnny Cash der Nachwelt nicht in einem zweiten Graceland in Erinnerung bleibt. Tröstliche Aussichten für eine würdevolle Zukunft des „Music State“.
Copyright 2009 Kölner Stadt-Anzeiger. Alle Rechte vorbehalten.
......................................................................................
Tennessee
Auf Pilgerfahrt im „Music State“
Von Ralf Johnen, 21.08.09, 11:33h
Eine Reise durch Tennessee zu den Schreinen von Elvis Presley, Johnny Cash und Otis Redding. Und zum uramerikanischen Vergnügungspark von Country-Sängerin Dolly Parton. Auch noch lebende Musiklegenden hat der Staat im Süden der USA zu bieten.
Desillusionierte Dienstleistungsdrohnen schwirren in Dollywood umher. Die Line-Dance-Formationen sind abgekämpft, die Popcorn-Verkäufer müde. „The Show Must Go On“ und ähnliche amerikanische Plattitüden vorerst außer Kraft gesetzt. Bald werden die Pforten schließen an diesem sonnigen Tag in Pigeon Forge, Tennessee. Zuerst aber müssen die Besucher noch durch den Geschenkeladen geschleust werden, in dem sie von allen Artikeln ein und dasselbe Gesicht anstrahlt. Egal, ob Kaffeetasse oder Marmeladenglas – das Konterfei von Dolly Parton ist omnipräsent.
Dollywood ist einer dieser uramerikanischen Vergnügungsparks, die Spaß für die gesamte Familie verheißen. In diesem Fall sind die Folgen drastisch: Pigeon Forge, einst ein puritanisches Bergdorf an der Grenze zu North Carolina, hat sich zu einer Art Zweit-Las-Vegas entwickelt: mit einem endlosen Strip. Einem Hotel, in dem das gesamte Jahr Weihnachten ist. Und einem Haus, das auf dem Kopf steht. Nicht gerade der klassische Einstieg in den „Music State“, wie sich Tennessee stolz nennt. Aber doch mehr als eine skurrile Episode, schließlich wird Dolly Parton hier im konservativen Süden der USA abgöttisch verehrt. Und die Gipfel der Great Smoky Mountains als Kulisse können sich auch sehen lassen.
Entlang des „Music Highway“
Pigeon Forge liegt eine halbe Stunde südlich des Interstate 40, der liebevoll als „Music Highway“ bezeichnet wird, weil er mit Nashville und Memphis zwei Kapitalen der Musikgeschichte verbindet. Gut eine Stunde vor Memphis und dem mächtigen Mississippi liegt das unscheinbare Städtchen Jackson. Ein Nest, das hätte Eingang finden können in die Enzyklopädie der Missverständnisse der modernen Zivilisationsgeschichte. Denn es wäre in erster Linie dafür berühmt, dass hier die „Pringles“ erfunden wurden, hätte nicht Johnny Cash das 50 000-Einwohner-Städtchen als Schauplatz für einen Song über juvenilen Überschwang auserkoren, durch den Jackson jedem Musikliebhaber ein Begriff ist.
Hauptattraktionen sind heute drei noch im Originalzustand existierenden Greyhound-Stationen und der „Old Country Store“, ein zum Geschäft und Restaurant gewordenes Kondensat der Südstaaten, in dem Devotionalien des regional kultisch verehrten Opossums ebenso selbstverständlich sind wie frittierte Maiskuchen. Sichtlich wohl fühlt sich hier eine Erscheinung, die sich durch sehr fleischige Hände, eine verspiegelte Sonnenbrille und eine ungewohnt souveräne Ausstrahlung deutlich vom Rest der Besucher abhebt.
Der Mann heißt W. S. Holland, und er hat 40 Jahre lang das Schlagzeug in der Band von Johnny Cash gespielt. Cash selbst hat dem heute 74-Jährigen den kleidsamen Titel „Father of the Drums“ verliehen. Musikhistoriker können dem kaum widersprechen, hat Holland doch auf zahlreichen Frühwerken mitgewirkt, die auf dem Sun-Label veröffentlicht wurden. Unter anderem beim „Million Dollar Quartet“, das in imposanter Besetzung musizierte: Jerry Lee Lewis, Carl Perkins, Johnny Cash und Elvis Presley.
Heute genießt Holland sein Dasein als lokale Berühmtheit – doch Pensionär allein möchte er nicht sein. Immer wieder kommen Besucher wegen ihm, nicht selten sind es Journalisten, die die Musikgeschichte neu schreiben möchten. Holland begleitet sie gerne in die Rockabilly Hall of Fame, einem völlig unamerikanischen Off-Museum. Hier baumeln die Singles vom Sun-Label von der Decke, und hier sind zahlreiche andere Sammlerstücke vereint. Zusammengetragen hat sie Henry Harrison, der zufällig mit den späteren Superstars aufgewachsen ist. „Ich habe gegen Elvis geboxt und mit ihm Basketball gespielt.“ An den Wänden des Tanzsaals hängen sympathisch missmisslungene Porträts der Heroen von einst, darunter auch das Konterfei von Rayburn Anthony, einem weiteren Sun-Pionier.
Holland klagt ein wenig über das verzerrte Bild, das im Film „Walk the Line“ von ihm gezeichnet wird: ein rauchender und trinkender Drummer. „Beides“, sagt er, „habe ich in den 74 Jahren meines Lebens nicht einmal angerührt.“ Verbittert ist er wegen der Geschichtsver-fälschung nicht. Viel mehr freut er sich, als Rayburn Anthony ihn auffordert, sich ans Drumset zu setzen. Gemeinsam stimmen beide den „Folsom Prison Blues“ an. Und danach ertönt die Zeile „We got married in a fever“, die Jackson so berühmt gemacht hat.
An jeder Kreuzung ein Cop
In Memphis sehnt man sich vergeblich nach einer solch kleinen, heilen Welt. Die City ist seit Jahrzehnten verödet, manch alter Wolkenkrat-zer steht verrammelt in der Gegend herum. Sobald die Dämmerung einsetzt, wartet an jeder Kreuzung ein Cop. Die ¬Beale Street am Rande des Zentrums aber ist wieder intakt – auch, oder gerade, weil die Brutstätte des Blues ein wenig einem Musikthemenpark gleicht. In B. B. Kings Club spielt an diesem Abend eine namenlose Band U 2-Coverversionen: „Where The Streets Have No Name“. Auf der Liste legendärer „locations“ noch weiter oben ist das Sun-Studio notiert, das sich unbescheiden aber nicht ohne Berechtigung Geburtsstätte des Rock’n’Roll nennt. In dem unscheinbaren Backsteingebäude, das sich an der Union Avenue ein paar Blocks entfernt von Downtown befindet, haben von Elvis bis zu Roy Orbison und Johnny Cash alle ihre ersten Platten aufgenommen. Wenn Musik eine Religion wäre, heißt es, dann wäre Memphis Jerusalem – und das Sun Studio der wertvollste Schrein. Wer Glück hat, wird von Cora durch die erfreulich abgerockten Räume geführt: Die tätowierte Amazone steht für einen anekdotenreichen Rundgang mit Klangprobe.
Ein paar Blocks Richtung Süden röhrt eine 70er-Limousine über die Straße – auf drei Reifen und einer Felge. Wir befinden uns „in einem der ärmsten Viertel des Landes“, wie Tim Sampson erklärt. Sampson arbeitet im Stax Museum, einem weiteren Haus, das der Konservierung einer musikalischen Institution dient. Hier haben Otis Redding, Isaac Hayes und Booker T. and the MGs ihre Platten aufgenommen, bevor das Studio in den 70ern dem allgemeinen Niedergang der Stadt zum Opfer fiel, der mit dem Mord an Martin Luther King eingesetzt hatte. Ein anonymer Musikfreund hat vor einigen Jahren den Bau einer Erinnerungsstätte ermöglicht und damit die schrittweise Erholung des Viertels eingeleitet. Sampson und seine Kollegen unterhalten an diesem Ort auch die Stax Academy, in der Ghetto-Kids die Tugenden beigebracht werden, die für das Leben allgemein und für das eines Berufsmusikers vonnöten sind.
Ähnlich philanthropische Tendenzen sucht man in Graceland vergeblich. Das Anwesen des King ist gnadenlos durchkommerzialisiert, alle Produkte mit Echtheitssiegel ausgestattet. Am Grab nölt eine ältere Frau: „Das hier ist sehr emotional, oder?“ Nun, sagen wir: Es ist traurig.
Glas, Stahl und Honkytonks
Gegen das traurig Gestrige von Memphis wirkt Nashville wie eine moderne Metropole: eine Skyline aus Glas und Stahl, Suburbs mit geräumigen Villen – und eine intakte Innenstadt. Am Broadway reihen sich die Honkytonks aneinander, jene Live-Clubs, die dem Klischee getreu bis heute nur der Countrymusic vorbehalten sind. Aus einigen schallen tatsächlich seichte Sounds. Nicht so aber aus „Layla’s Bluegrass Inn“, wo Meta-Countrybands wie die „Drive-by-Truckers“ groß geworden sind.
Hier steht gegen Mitternacht ein von oben bis unten zutätowierter Berserker auf der Bühne, der seine Gitarre malträtiert und von einer fünfköpfigen Band unterstützt wird. Dieses Naturereignis nennt sich Hank III. und ist niemand anders als der Enkel von Hank Williams, dem früh verunglückten Übervater der melodramatischen Country-Ballade. Hank III. tritt fast jede Woche auf, um seine ebenso heißblütige wie sehenswerte Fan-Gemeinde mit mächtigem Lärm zu befriedigen. Im Ryman-Auditorium spielt am selben Abend Jack White von den White Stripes mit seiner Zweitband, den Raconteurs.
Auch in Nashville aber stößt der passionierte Musikhistoriker auf reichhaltige Jagdgründe. Von Ernest Tubbs Plattenladen am Broadway über die legendäre Konzerthalle „Grand Ole Opry“ bis zur „Country Music Hall of Fame“, einem High-End-Museum für die ganze Familie. Dennoch spielt die Vergangenheit kaum eine Rolle in Nashville – zu kraftvoll ist die Gegenwart.
Bliebe die Frage, was aus dem Erbe jenes Mannes geworden ist, auf den sich alle einigen können – vom jungen Hip-Hopper bis zum ält-lichen Rockabilly-Aficionado: Johnny Cash. Der „Man in Black“ residierte Zeit seines Lebens in Hendersonville, einem kleinen Städtchen nordöstlich von Nash-ville. Vor Ort allerdings deutet nur wenig auf den bekannten Bewohner hin, außer dass ein Teil der Main Street nach ihm benannt ist. In einer rührigen Bücherstube verrät eine junge Verkäuferin den Weg zum Friedhof und zu jener Villa, die seit den Auf-nahmen zu „Walk the Line“ so bekannt ist.
Johnny Cashs Grab
Nach ein paar Meilen taucht der Woodlawn Cemetry auf. Nichts weist darauf hin, dass hier June Carter-Cash und Johnny Cash nebeneinander ruhen. Nach einigem Suchen aber findet man den Grabstein und die Ruhestätte, auf der ein paar Plektrons liegen. Das Anwesen, auf dem der Mann residierte, allerdings ist Geschichte. Ein Bauzaun umgibt das Areal am Cumberland River. Brandstifter, so die Vermutung, haben es dem Erdboden gleichgemacht. Ein Verlust. Aber vielleicht zugleich die Garantie, dass Johnny Cash der Nachwelt nicht in einem zweiten Graceland in Erinnerung bleibt. Tröstliche Aussichten für eine würdevolle Zukunft des „Music State“.
Copyright 2009 Kölner Stadt-Anzeiger. Alle Rechte vorbehalten.
Kommentar